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Herbstgeraschel 1

Auftragskolumne für das Bundesamt für Raumentwicklung ARE in Ittigen zum Thema «Kulturlandschaften», erschienen in der Septemberausgabe des Magazins «forum Raumentwicklung» unter der Rubrik «Herbstgeraschel» 2011, ah.

Zunächst sei hier allem voran ein kultiviertes «Tag zusammen» in die Leserlandschaft gestellt. Als ich angefragt wurde, für dieses «Forum Raumentwicklung» eine Kolumne zu schreiben, war ich sofort hellbegeistert und fühlte mich kulturell wertvoll. Denn ich wusste, dass alle wissen, dass ich nix weiss. Rein fachlich gesehen. Mir fiel aber sofort auf, dass «Kulturlandschaft» viel geschmeidiger klingt als «Kulturschaffender». Letzterer klingt nach Krampf, der jede Menge Geld kostet. Ein bisschen auch nach einem, der es notfalls schafft, Kultur zu verhindern. Womöglich liegt deshalb der Begriff «Kulturlandschaft» umso munterer in vielen Mündern, um dort regelrecht zu Brei zu werden. So las ich als Kulturinteressierte unlängst im Magazin des «kulturellen bl»: «Das Theater hat keine Probleme mit dem Publikum. Die Kulturlandschaft hat sich ungeheuer diversifiziert.» Aha. Es gibt also noch mehr Leute mit Matura auf dem zweiten Bildungsweg. Das Theater, so hiess es weiter, habe ohnehin eine besondere Stellung in der Kulturlandschaft. Richtig, denke ich, denn laut Wikipedia ist eine Kulturlandschaft weit mehr als nur eine humide Florenregion. Und da stellt so ein Theater als feucht-fröhliche Plattform für blühende Intrigen aller Art schon etwas Besonderes dar und bietet zudem obendrein eine Musiklandschaft – von den getanzten Landschaften gar nicht zu reden.

Ich gerate in Schräglage. Entdecke zu allem Überfluss eine Seite aus Österreich im Internet mit dem Namen «Kulturlandschaften»: Die Seite für Kunst, Kultur und Kulinarik! Auch in jenem kleinen Land also…
Immerhin fühle ich mich jetzt mit meinem fehlenden blassen Schimmer nicht mehr allein. So ist das nun mal mit von Menschen erdachten oder gemachten Dingen: Man verheddert sich so leicht darin. Und dann steht man da wie ein Kulturbanause und hofft, dass einem der Weitblick wenigstens landschaftlich noch nicht verbaut ist. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt. Zur Kulturlandschaft gehören nämlich auch Siedlungsplätze. Da ist es! Das Wort, das mich reizt – bis aufs Blut: Plätze! Mir fällt auf, dass viele verbaute Flächen zusammengesetzte Substantive als Name tragen und die enden immer mit «Platz», obschon die Mehrzahl davon vielerorts allenfalls Plätzchen heissen dürfte. Ich möchte nicht beispiellos bleiben. Nehmen wir eine Siedlung, die den Titel «Stadt» trägt. Nehmen wir Basel. Wer diese Stadt kennt, weiss, worüber ich mich sogleich echauffiere. Wer sie nicht kennt, weiss anschliessend zumindest, warum er sie bislang nicht kennengelernt hat. Wer in Basel als Bahnreisender willentlich oder zufällig ankommt, findet sich – vom Gang durch die sogenannte Passerelle womöglich leicht zerdrückt und angequetscht und immer vorausgesetzt er hat die richtige Abzweigung genommen – auf dem Bahnhofsplatz wieder. Wenn es der erste Baselbesuch dieses Reisenden ist, dann wird er auf jenem Platz äusserst verloren herumstehen, denn wer Basel besucht muss wissen wo’s lang geht. Fragen kann er hier nämlich nicht einmal die fünf Bierdosenöffner auf der Bank unterm Bahnhofsdach, denn die kennen allenfalls den Weg zum Kiosk. Wenn der Neuankömmling den Platz zu zögerlich zu überqueren versucht, läuft er Gefahr, ratzfatz überfahren zu werden. Möglichkeiten gibt es genug.

Und wenn der Bus ihn erst gestreift und der Velofahrer ihn zu Boden gerissen hat, ist es ein Leichtes für eines der Trams, über ihn hinwegzurollen. Überlebt er aller Logik zum Trotz und schafft es gar, bis in die Innenstadt vorzudringen, wird er sich auch hier schwerlich willkommen fühlen. Basel scheint vor allem in der Haupttouristensaison allen Fremden zuzurufen, sie mögen gefälligst sonstwo bleiben. Nur so ist die Baustellendichte in der ohnehin schon sehr beengten «Rheinkniemetropole» zu erklären. Nehmen wir an, unser Fremder habe es also zum Barfüsserplatz geschafft. Ein Platz, der an Kahlheit und Unattraktivität nicht zu toppen scheint. Unser Fremder wird hier höllisch aufpassen müssen, denn hier bewegt sich, was sich bewegen kann, ohne erkennbare Regeln. Taxis, Fussgänger, Velofahrer, alle fahren oder laufen einfach drauflos. Auf die Seite der Fussgängerzone zu gelangen, kommt einem Geschicklichkeitstest gleich. Nehmen wir an, unser Fremder ist nervenkitzelerprobt und gelangt via Fussgängerminiabschnitt zum Marktplatz. Einem der Stressplätze Basels, um den herum man ebenfalls so wunderbar einfach unter die Räder kommen kann. Nehmen wir weiter an, unseren Fremden hätte die Abenteuerlust gepackt und er würde gerne noch mehr solch herrlich gefährliche Plätze aufsuchen, vorausgesetzt sie seien ähnlich unattraktiv. Nur zu, könnte Basel da triumphierend antworten: Aeschenplatz, Claraplatz, Wettsteinplatz, Voltaplatz, Vogesenplatz… Am gefährlichsten jedoch sei der Münsterplatz, denn der sei durch die Pfalz, die hoch über dem Rhein gelegene Terrasse, von derart überraschender Schönheit, dass die Menschen hier vor lauter Entzücken so gerne in den Freitod springen.

Unser Fremder wäre nicht mehr zu bremsen und seine letzten Worte wären: «Ein Hoch auf die Siedlungsgebiete, die dank planlos tatkräftigem Einwirken von Menschenhand so unvergleichliche Abenteuerplätze bieten. Abenteuer, welche in reiner Natur, in unberührter Landschaft zu finden man Mühe hätte.“


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