Leben als Umleitung
Ein Text aus dem Jahre 2007, der kurioserweiser nix an Aktualität eingebüßt hat. ah. im jetzigen 2012. Veröffentlicht wurde dieser Text in der BaZ, seinerzeit, im besagten 2007.
Seit fünf Jahren (mittlerweile 10! – Anm. d. Autorin) lebe ich auf einer Baustelle, will sagen, in Basel. Das eine lässt sich nur schwerlich vom anderen trennen. Ich darf also mit Fug und Recht behaupten Expertin zu sein in Sachen «behämmert-und-zerrüttelt-aufwachen-am-Morgen». Oh ja! Im Laufe der Jahre hab ich jede Menge gelernt bezüglich Hoch und Tief, rein und raus. Immerhin! Und unlängst hab ich mir einen Bauleiter, Herr über Bagger und Presslufthammer, eingeladen. Nicht in meine vier durchgeschüttelten Wände, nein, wo denken Sie hin! In meine Fantasie.
Da saß er also. Ganz authentisch. Den Baustellenhelm auf dem Kopf, die Stahlkappenschuhe an den Füssen. Und während wir Tee tranken (wir erinnern uns: «Man trinkt Tee, damit man den Lärm der Welt vergisst»), hab ich ihn all das gefragt, was mir vom ersten Spatenstich an bereits unter den Nägeln klebte: «Herr Bauleiter, wie kommt es, dass man einen ganzen Halbkanton ständig aufreißt, umgräbt und neu zu verlegen versucht?»
«Sehen Sie mal», hub er an und ruckelte seinen Helm aus der Stirn, «gerade Basel ist ein besonders gutes Beispiel, dem ‚Von-außen-Kommenden’, also dem Fremden, ein positives Bild einer lebendigen Stadt zu vermitteln.»
Ich: «?»
Der Bauleiter: «Ja! Der Fremde, der ‚Von-außen-Kommende’, sieht sofort, dass diese Stadt nicht dem Tiefschlaf verfallen ist, dass hier nicht geschnarcht sondern gearbeitet wird. Der Hinweis auf den Nummernschildern macht dies offen verständlich.»
Ich: «?»
Der Bauleiter: «Na, ‚BS’ steht doch für Baustelle!»
Ich: «Ja…klar…äh…Herr Bauleiter, und ‚BL’ steht dann natürlich für…äh…-»
Der Bauleiter: «Bau-Land! Frau – äh – ja, richtig!»
Ich: «Verstehe. Unsere Stadt soll immer schöner und trendiger werden. Aber eingerüstete Gebäude, Absperrungen, ewige Umleitungen sind wenig attraktiv und vor allem anstrengend.»
Der Bauleiter: «Schauen Sie, eine Baustelle zeugt von Wohlstand. Der ‚Von-außen-Kommende’, also der Fremde, sieht sofort: Aha, hier ist Geld da, hier ist was los, hier gibt’s Arbeit und das ist attraktiv. Denn Baustellen schaffen Arbeitsplätze. Und eine Baustelle macht Spaß! Die ist so vielseitig! Da können Sie Rohre verlegen, Sie können aufbaggern und wieder zuschaufeln.»
Ich gieße Tee nach und er sagt, als wolle er mein Gehirn neu teeren: «Baustellen bieten einen der vielseitigsten Arbeitsplätze überhaupt!»
Ich: «Die Geräte, Herr Bauleiter, die da zum Einsatz kommen, sind allerdings sehr anstrengend, der Lärmpegel ist immens hoch…»
«Jaaa!» unterbricht er mich und ist nun voll in Fahrt, «Was dem einen Lärm, ist dem andern Musik! Es gibt einen Komponisten der neueren Musik, der heißt Hans Untermboden. Der ist in verschiedene Städte gereist, hat alle möglichen Baustellengeräusche aufgenommen, daraus ein Stück gemacht und das hat er ‚Aufschwung’ genannt. Da sollten Sie mal reinhören!»
Ehe er mich vollends wegpusten konnte, hab ich ihm die Teekanne an die Brust gesetzt und ihn über die Grenze gejagt. Die Grenze zu meiner Fantasie.
Jetzt wart ich drauf, dass mir einer unterkommt, der aus einer Baustelle ein Event macht.